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BEI  DER  ZERSTÖRUNG

DES  GEMÄLDES

„WHO’S  AFRAID  OF  RED,  YELLOW  AND  BLUE  IV“

von Barnett Newman (1969/70) in der Neuen Nationalgalerie in Berlin durch einen Studenten der Veterinärmedizin im Jahr 1982 ist interessant, dass die Zerstörungswut gerade dieses Bild getroffen hat, das bereits in seinem Titel die Angst reflektiert, die es evtl. auslösen könnte. Damit eignete es sich offenbar zum Symbol und stand wohl auch als deren Inbegriff für die gesamte moderne Kunst.  Sein Titel bestätigte noch die Angst- und Bedrohungsgefühle, ja legitimierte sie geradezu: Wenn Newman selbst schon damit spekuliert, daß sein Bild Angst auslösen könnte, schien es auch legitim, die Wirkung  dieses Bilds zu bekämpfen und damit das Bild selbst „unschädlich“ zu machen.

Es lag aber nicht nur am Titel, dass Newmans Bild zum Attentats-Opfer wurde. Wenigstens zwei weitere, miteinander zusammenhängende, Gründe gab es dafür, als der Attentäter ca. zwei Monate vor seiner Tat, nach eigener Aussage „mehr oder weniger zufällig“ in die Nationalgalerie gekommen war: Newmans Bild fiel ihm auf, weil es im Unterschied zu den anderen Bildern dort besonders gesichert war, nämlich mit Plexiglasbügeln, die kreisförmig um es herum angebracht waren. Durch diese ,Umzäunung‘ schien ihm Newmans Bild wichtiger als andere Bilder und verhieß ihm mehr ,Sinn und Bedeutung‘; doch konnte der Student nicht erkennen, was diesen herausgehobenen Status rechtfertigen sollte. Seine Hilflosigkeit steigerte sich noch, als ihm der Museumswärter erzählte, das Bild habe drei Millionen Mark gekostet. Tatsächlich war es erst wenige Monate zuvor von der Nationalgalerie angekauft worden. Wegen der Höhe der Summe hatte es große Mediendebatten in Berlin gegeben, von denen der spätere Attentäter jedoch gar nichts mitbekommen hatte.

Der hohe Preis des Werks weckte noch mehr Erwartungen als die Absperrung. Umso beunruhigender empfand es der Student, dass sich ihm das Bild nicht erschloss, dass er nur drei Farbflächen sah, dass er den ,Gegenwert‘ für die drei Millionen nicht sehen konnte. So tat sich vor ihm ein Abgrund auf, und er musste an der Welt zweifeln, da er ohnehin schon Orientierungsschwierigkeiten hatte und sich als gesellschaftlichen Außenseiter empfand.  Durch die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wertschätzung für das Bild und der für ihn offensichtlichen Sinnlosigkeit der drei Farbflächen fühlte er sich erst recht ausgeschlossen.

Hinzu kam, daß der Attentäter manisch-depressiv war, d. h. starken Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Überlegenheitsgefühlen einerseits und völliger Niedergeschlagenheit andererseits unterworfen. Als er, zwei Monate nach der ersten Begegnung, das Attentat beging, war er in einer manischen Phase, d. h. er fühlte sich nicht etwa akut von dem Bild bedroht, vielmehr fühlte er sich gerade jetzt stark genug, sich ihm zu stellen und mit ihm fertig zu werden. Er gelangte sogar an einem Tag in das Museum, an dem es geschlossen war und fand das Bild in  einemm abgedunkelten Raum wieder, nahm eine der Plastikabsperrungen und schlug damit auf das Bild ein. Außerdem benutzte er seine Fäuste und trat auch gegen das Bild und hinterließ am Tatort etliche Gegenstände sowie beschriftete Zettel. Auf ihnen bezeichnete er seine Tat als „kleinen Beitrag zur Sauberkeit“ und sprach davon, daß „die Weltordnung regelrecht auf dem Kopf“ stehe, wenn „für so etwas“ wie das Newman-Bild Geld vorhanden sei, gleichzeitig aber anderswo auf der Welt Kinder verhungerten. In Boulevard-Zeitungen fand das Attentat, und vor allem sein Motiv, durchaus Zustimmung. Newmans Malerei war zuvor als „Werk eines Anstreicherlehrlings“ diffamiert worden, und der den Ankauf verantwortende Museumsdirektor Dieter Honisch erhielt Morddrohungen. Leserbriefschreiber lobten den Mut des Studenten, „das auszudrücken, was die Mehrheit des Volkes mit gesundem Verstand empfindet“, nämlich „Abscheu und Verachtung“. In einem Beitrag wurde der Attentäter sogar für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.

Erst im Januar 1985 konnte das aufwändig restaurierte Bild wieder im Berliner Mies-van-der-Rohe-Bau gehängt werden.

© Franz Albert      |      alle Rechte vorbehalten